Muskulatur des Pferdes
Insgesamt verfügt das Pferd über ungefähr 520 verschiedenartige Muskeln, die willkürlich und unwillkürlich funktionieren. Im Vergleich zu anderen Säugetieren sind die Muskeln des Pferdes extrem stark von sehnigen Strukturen durchzogen. Sie setzen über Sehnen und Bänder an den Knochen des Pferdes an.
In der reiterlichen Gymnastizierung des Pferdes geht es in erster Linie um die Kaumuskeln, die oberen Halsmuskeln, der Muskulatur des Rückens und den Muskelgruppen der Hinterhand. Die Muskelgruppen der Hinterhand bilden gemeinsam ineinander greifend im Tragapparat den Spannungsbogen, der über die untersetzenden Hintergliedmaßen des Pferdes vermehrt das reiterliche Gewicht aufnimmt und auf diese Weise die schwächere Vorhand entlastet.
Die Kaumuskulatur des Pferdes ist besonders kräftig entwickelt. Beim Reiten muss diese immer in lockerer Tätigkeit gehalten werden, damit das Maul des Pferdes stets elastisch und losgelassen auf die Zügelführung reagiert. Als äußeres Anzeichen einer regen Kautätigkeit signalisiert die Schaumbildung im Maul vorangegangene weiche, lockere und nachgiebige Zügelhilfen. Das Pferd entzieht sich der Zügelführung, indem es die Zähne zusammenbeißt und die Kaumuskeln verkrampft.
Die Halsmuskeln des Pferdes greifen teilweise auf die Schulter über. Sie sind für die Bewegungen des wendigsten Abschnittes der Wirbelsäule nach oben, unten und an beiden Seiten nach hinten verantwortlich. Beim Reiten wird die Aufrichtung des Pferdehalses in schön geschwungenem Bogen (höchster Punkt Genick) weniger aus optischen Gründen, sondern insbesondere für eine effektive Zügelführung zur Stabilisierung des Tragapparates angestrebt. Die Muskeln der oberen Halspartie kräftigen sich bei einem gut und richtig gymnastizierten Pferd im Zuge der Ausbildung. Dabei gewinnen diese Muskeln deutlich an Volumen, während die Muskeln an der Halsunterseite bis zur Kehle hin schwächer scheinen. Wenn der Hals des Pferdes derart ausgeformt ist, vereinfacht die zwanglose Beizäumung und selbsttragende Aufrichtung. Durch Zügelhilfen, die einfühlsam und behutsam gegeben werden, kann man erreichen, dass sich die Halsmuskeln nach vorn in die Zügelführung hinein dehnen. Mit einer zwingenden Zügelführung kann man jedoch äußerst negativen Einfluss auf das Muskelspiel des Pferdes nehmen. Die häufigsten Folgen einer falschen oder zu harten Zügelführung sind Verwerfen im Genick, ein seitlich leicht schräges Abweichen von der senkrechten Kopfhaltung verbunden mit dem Kriechen hinter den Zügel und die Zurücknahme des Kopfes hinter die Senkrechte zur Brust (Ausweichen der Zügeleinwirkung). Dadurch entstehen ein- oder beidseitige Muskelverkrampfungen.
Bei der Korrektur der natürlichen Schiefe (angeborene einseitige Längsbiegung der gesamten Wirbelsäule) des Pferdes kann die Gymnastizierung der Halsmuskulatur ebenfalls von Bedeutung sein. Die Beseitigung der natürlichen Schiefe ist ein Hauptanliegen beim Dressurreiten, wozu eine geübte Zügelhand erforderlich ist.
Zu den wesentlichen Bestandteilen des Spannungsbogens, der durch die reiterliche Einwirkung erreicht werden soll, gehören das Nackenrückenband (erstreckt sich vom Kopf über die gesamte Wirbelsäule bis zum Kreuzbein) und der Rückenmuskel (überspannt Rücken bis zur Schulter). Die Halsmuskeln erstrecken sich verbindend über den Widerrist des Pferdes bis an die breitflächige Muskulatur des Rückens heran, die an Brustwirbeln und Lendenwirbeln ansetzt und ebenfalls eine Verbindung zur Muskulatur der Hinterhand aufweist. Der Reiter nimmt Einfluss auf das Zusammenwirken dieser Muskelpartien. Ob der Pferderücken losgelassen durchschwingt oder sich jedoch versteift und festgehalten wird, steht in Abhängigkeit zum jeweiligen Grad der Elastizität der Muskelgruppen.
Die Rückenmuskulatur des Pferdes setzt sich bis in die seitlichen Schwanzmuskeln fort. Darum ist ein ruhiger, gerade und leicht aufwärts gebogen gehaltener Schweif ein Indiz für einen entspannt durchschwingenden Pferderücken. Auf der anderen Seite zeigen allerdings ein schief geklemmter Schweif oder nervöses Schlagen mit dem Schweif an, dass der Rücken verkrampft vom Pferd festgehalten wird. Die Rückenmuskultur nimmt ebenfalls Einfluss auf Biegung, Lockerheit und Verspannung der Wirbelsäule, auf die Schulterfreiheit in der Gangbewegung und die Atemfreiheit des Brustkorbes. Bei einem losgelassenen Pferd ist eine ruhige, langsame Atmung festzustellen. Durch wiederholtes Abschnauben zeigt das Pferd zudem sein Wohlbefinden an. Eine durchtrainierte, starke Rückenmuskulatur bietet letzten Endes eine stabile Sattellage. Das Reitergewicht wirkt direkt auf den Rücken des Pferdes ein. Deshalb kann der Reiter die Tätigkeit der Rückenmuskulatur positiv fördern oder allerdings auch schwerwiegend behindern.
Der Bewegungsspielraum der Muskulatur der Vorhand des Pferdes ist relativ eng gefasst. Die Muskeln dieser Gruppe dienen überwiegend der Vorwärtsbewegung und Rückwärtsbewegung der Vordergliedmaßen. In geringem Maße erlauben sie daneben auch eine seitliche Bewegung. Zudem sind sie für die Streckung und Krümmung der Vordergliedmaße verantwortlich. Im Stand lastet der größte Teil des Gewichtes des Pferdekörpers (Halspartie und Rumpf) auf der Vorhand und im Bewegungsablauf des Pferdes übernimmt die Vorhand lediglich eine auffangende, abstützende und abrollende Funktion. Die Muskeln der Vorhand sind deshalb vornehmlich auf statische Tragkraft fokussiert. Von der Natur ist die Zusatzbelastung des Schwerpunktes des Pferdes durch das reiterliche Gewicht nicht vorgesehen. Aus diesem Grund sollten eine ausgleichende Entlastung der Vorhand und ein kräftigendes Training der Muskulatur wichtige Ziele im reiterlichen Bestreben sein, um einem Verschleiß und Dauerschäden des Tragapparates des Pferdes vorzubeugen.
Die Muskulatur der Hinterhand ist wesentlich stärker als die Muskulatur der Vorhand. Mithilfe der Hinterhand-Muskulatur werden die enormen Hebel der hinteren Gliedmaßen des Pferdes zu kraftvollem Vorwärtsschub befähigt. Zudem verleiht die starke Muskulatur den Hintergliedmaßen einen größeren Bewegungsradius. Durch richtige reiterliche Hilfengebung können die Hintergliedmaßen veranlasst werden, sich zunehmend nach vorn unter den Pferderumpf zu schieben und auf diese Weise einen Teil des auf der Vorhand lastenden Gewichtes von Rumpf und Reiter zu tragen.